Als im November 2021 Ken Folletts neuer Thriller Never. Die letzte Entscheidung auf dem deutschen Buchmarkt erschien, konnte sich wohl keiner vorstellen, welche Aktualität er drei Monate später haben würde. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, welche politischen Verflechtungen und Ereignisse denkbar sind, durch die die Welt in einen Krieg stolpert, den – wie 1914 – keiner wollte. Was im atomaren Zeitalter bedeutet: in einen atomaren Krieg.
Die kriegerische Aggression Putins gegenüber dem Land, dem Volk und den demokratisch gewählten Repräsentanten und Repräsentantinnen der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 zeigen, wie nah Follett sein Ohr an den Mechanismen und Auswirkungen politischen Handelns durch die Mächtigen dieser Welt hat. Der Bestsellerautor weitet allerdings den Horizont, indem er den Blick nicht zuletzt auf regionale, durch Söldner und Terrorgruppen verschiedenster Couleur ausgelöste Kampfhandlungen lenkt, die als Stellvertreter der Großmächte handeln und deren Aktivitäten brandgefährlich sind.
An drei Schauplätzen verdichten sich die Konfliktlinien: In Washington regiert die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten, Pauline Green, mit Umsicht, aber auch zunehmender Desillusionierung angesichts ihres bröckelnden Familienlebens und sich zuspitzender Konflikte mit China und immer weniger erfolgreicher diplomatischer Bemühungen. In China stellt sich Chang Kai, ein hoher Beamter aus der Auslandsaufklärung erfolglos den kommunistischen Hardlinern entgegen. Diese setzen angesichts heraufziehender gesellschaftlicher Veränderungen rachelüstern und mit dem Selbstverständnis höchster Funktionäre ihren Allmachtsanspruch der Kommunistischen Partei Chinas und den Hegemonialanspruch im Südchinesischen Meer durch – koste es, was es wolle, und wenn es auf Kosten eines Atomkriegs geschieht. Im Tschad gehen Tamara, eine US-amerikanische Geheimdienstoffizierin, und ihr männliches Pendant auf französischer Seite, Tab, gemeinsam den Spuren versprengter Dschihadistengruppen nach, deren Ziel es ist, die Region zu destabilisieren. Unterstützt werden sie von einem Spion, der undercover in den Sahara-Staaten einem Netz von Drogenschmugglern auf er Spur ist. Diese Region ist ein Spielball globaler Hegemonialmächte und Waffenlieferanten.
Am Ende reicht ein kleiner Funken, ein Dreh an der Eskalationsschraube zu viel, um die Kette eines Atomkriegs in Gang zu setzen.
Ken Follett skizziert auf 876 Seiten ein ebenso spannendes wie düsteres Bild von Machtspielen, die außer Kontrolle geraten und die Zukunftshoffnungen auf ein friedliches Leben zunichtemachen. Es wäre kein Ken Follett, wenn nicht das Knüpfen und Trennen zwischenmenschlicher Beziehungen dem Thriller die Würze gäben.
Follett verstrickt seine Figuren so tief in ihr eigenes Weltbild, dass sie den Point of no Return verpassen. Er lässt sie den radikalen Weg in die Apokalypse gehen. Dieser Schluss hat mich regelrecht wütend gemacht Warum konfrontiert uns der Bestsellerautor mit dieser schmerzhaften Erkenntnis, dass es Situationen gibt, die nicht beherrschbar sind, dass man auch immer mit einer unlogischen, diabolischen Lösung rechnen muss? Warum lässt er uns im Ungewissen mit der Frage, wann der richtige Zeitpunkt gewesen wäre, nachzugeben, um der Menschheit die Apokalypse zu ersparen.
Bis vor drei Wochen konnte ich mir nicht vorstellen, dass man zwischenstaatliche Konflikte nicht auf diplomatischem Weg lösen könnte. Heute müssen wir erkennen: Ken Follett hat nur das vorweggenommen, was Putin uns seit drei Wochen lehrt.
- Susanne -
Never. Die letzte Entscheidung
Bastei Lübbe, Köln 2021
ISBN: 978-3-7857-2777-5